Samstag, 9. März 2013

Der Zug rollt – Geschichten aus der Bahn

Wenn einer Eine Reise tut, dann kann er was erzählen. Stimmt soweit. Wenn einer dann noch auf der Reise einen Rollstuhl dabei hat und mit der Deutschen Bahn unterwegs ist, dann wird’s erst recht interessant. Ich könnte jetzt anfangen über verpasste Anschlusszüge, wahlweise defekte Klimaanlagen (im Sommer) und Heizungen (im Winter) zu bloggen. Das haben vor mir wohl schon Tausende gemacht. Viel spannender ist es, davon zu erzählen, was mir auf meinen Reisen passiert. Das ist nämlich ne ganze Menge.



Erst einmal zu den Fakten: Für Rollstuhlfahrer hat die Deutsche Bahn einen speziellen Mobilitätsservice eingerichtet. Da kann man anrufen und einen Platz reservieren. Am Bahnsteig steht dann ein Mitarbeiter bereit, der den Rollstuhlfahrer mittels hydraulischer Hebebühne hochfährt, damit man ebenerdig in den Zug kommt. Das habe ich einmal gemacht, als ich auf Nummer Sicher gehen wollte. Um mich herum bildete sich großes Getümmel. Menschen, die mich anschauten, als wäre ich vom Planet der Affen. Dass der Schaffner die umstehenden Leute mit dem Satz „Jetzt machen Sie mal Platz! Der Rollstuhl muss mit rein!“ zum Weitergehen bewegen wollte und dabei ja irgendwie doch mich als Person meinte, machte die Sache nicht wirklich besser.
Prinzipiell ist dieser Service ja sehr hilfreich und viele Menschen sind auch darauf angewiesen. Was mich daran stört, ist die Tatsache, dass man 48 Stunden vor der Fahrt reservieren muss. Für spontane Wochenendtrips also denkbar ungeeignet.

Es musste eine neue Strategie her: Auf die Mithilfe von anderen Reisenden vertrauen. Ich schaue mir am Bahnsteig immer die Menschen an, die ebenfalls einsteigen und suche mir jemanden aus, der wenig Gepäck und somit eine Hand frei hat. Den spreche ich dann an und bis jetzt hat mir auch wirklich jeder geholfen. Aber: Je früher man jemanden anspricht, desto mehr Fragen muss man beantworten: „Wo muss ich den Rollstuhl denn anfassen? Ist der schwer? Kann ich das überhaupt? Und wer hilft Ihnen dann beim Einsteigen?“ Wer mich kennt, der weiß nur zu gut, dass ich ungern viele Fragen auf einmal beantworte. Also habe ich die Strategie perfektioniert. Ich warte so lange bis der Zug einrollt, stehe auf und klappe den Rollstuhl zusammen, fordere jemanden auf, mir zu helfen und zeige ihm die nötigen Handgriffe. Da jetzt alles ganz schnell gehen muss, muss ich gar keine unnötigen Fragen mehr beantworten. Zugegeben, nicht die feine englische Art, aber für mich ein Stressfaktor weniger. Der kommt früher oder später nämlich sowieso auf der Fahrt.

Ich setzte mich dann immer in Wagen 9, da dort Plätze für Menschen mit Handicap ausgewiesen sind. Außerdem ist das Bord Bistro nebenan und dort gibt es Kaffee. Ich darf in der 1. Klasse sitzen, muss aber nur für die 2. Klasse bezahlen. Ich muss außerdem keine Extra-Gebühr zahlen, wenn ich das Ticket erst auf der Fahrt kaufe. Das ist ein netter „Zug“ von der Bahn und die meisten Schaffner wissen auch von dieser Regelung - einer wusste es mal nicht: Er wollte von mir den vollen Preis für die 1. Klasse und hat mich dann nach einer langen Diskussion mitsamt Rollstuhl, Koffer und Rucksack in die 2. Klasse geschickt. Zu seiner Ehrenrettung muss erwähnt werden, dass er den ganzen Kram schleppen musste und mir dann ironischerweise in der 2. Klasse überhaupt nichts berechnet hat.

Wie ich kürzlich auf Facebook erwähnt habe, habe ich immer eine Begleitperson frei. Ich habe einen Schwerbehindertenausweis mit Merkzeichen B für Begleitperson. Normalerweise schaut sich niemand an, ob der Ausweis noch gültig ist. Das haben auch mein Bruder und ich gedacht, als wir einmal mit abgelaufenem Ausweis nach Karlsruhe gefahren sind - es wäre eigentlich mal interessant zu wissen, warum so ein Ausweis überhaupt abläuft?! - Jedenfalls wurden wir von einer Schaffnerin kontrolliert, die gerade jemanden eingelernt hat. „Sie müssen immer darauf achten Frau Kollegin, dass der Ausweis auch tatsächlich noch gültig ist.“ Mmh, doof jetzt. Nur dank der Überzeugungskünste meines Bruders mussten wir nix draufzahlen.

Letzte Woche bin ich mit dem ICE von Offenburg nach Freiburg gefahren. Der Zug stand schon da, als ich aufs Gleis kam. Ich bin also schleunigst ins nächstbeste Abteil geeilt. Da der Zug ziemlich voll war, habe ich mir für die kurze Fahrt nicht die Mühe gemacht, einen Platz zu suchen sondern bin, wie viele andere auch, einfach im Gang geblieben. Nach ca. 15 Minuten kam der Schaffner. „Sie dürfen hier mit dem Rollstuhl nicht im Gang sein. Sie sind ein Sicherheitsrisiko!“ Aha, und ich dachte eigentlich, ich sei ein ganz netter Kerl.

Mein Hinweis, dass ich doch gleich wieder in Freiburg aussteige, verhallte ungehört. Stattdessen hatte der Schaffner seinen großen Auftritt. Es wurden Koffer verschoben, um für den Rollstuhl Platz zu machen und Menschen mussten näher zusammenrücken, um mir Platz zu machen. Als ich dann endlich einen Sitzplatz hatte, hörte ich eine Stimme, die in schönstem Denglisch sagte: „Diehr Lehdies ent Tschentlmn. In a fju Minitz we will areif in Freiburg.“ Na sänk you!

Aber, warum echauffiere ich mich denn hier unnötig. Zugfahren bedeutet doch auch immer, nette Menschen kennenzulernen und tolle Gespräche zu führen. Mit der Mutter, die mit ihren Kids einen Ausflug in den Zoo gemacht hat und nun total genervt ist. Mit den Eltern, die ihr Kind in der Uniklinik besucht haben und einfach nur aufgewühlt sind. Oder mit der Oma, die zu ihren Kindern und Enkeln fährt und mir ihre komplette Lebensgeschichte erzählt. Solche Gespräche und Begegnungen sind eine Bereicherung und deswegen liebe ich das Zugfahren.

Also, wir sehen uns im Zug!

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